- Vor 50 Jahren, am 7. Februar 1971, erhielten die Frauen in der Schweiz, nach mehr als 100 Jahren Kampf der Frauenbewegung, das Stimm- und Wahlrecht.
- Grund genug für den SKF, den Schweizerischen Katholischen Frauenbund, am Geburtstag der Schweiz, dem 1. August, dieses Jahr in allen Kirchen die Frauen predigen zu lassen.
- Auch wenn per Gesetz beide Geschlechter gleichgestellt sind, so sind sie es im Staat, in der Kirche und in den Köpfen der Patriarchen noch lange nicht.
Ein Titel spricht Bände: Helvetia predigt! Unter diesem Motto ruft der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) alle Kirchen der Schweiz dazu auf, am Sonntag, dem 1. August 2021, ihre Ambos, Kanzeln und Altäre frei zu machen, damit Frauen predigen können. Es wäre kein Sonntag in diesem Jahr besser für diese ökumenische Aktion geeignet als eben dieser, an dem die Schweiz ihre Bundesfeier zelebriert. Die Eidgenossenschaft feiert an diesem Tag ihre allegorische Landesmutter Helvetia, und diese hinwiederum, als Frau, die sie ist, feiert bestimmt mit allen Frauen dieses Landes den Umstand, dass sie seit nunmehr 50 Jahren das Recht haben, an Abstimmungen teilzunehmen, zu wählen und selber auch gewählt zu werden.
Ziel: Frauen sichtbar machen
Die Forderung des SKF, Frauen am 1. August in den Kirchen predigen zu lassen, dürfte nicht überall auf offene Ohren stossen. Wer das geltende Kirchenrecht streng auslegt, wird weder den 1. August noch die Feier von 50 Jahren Frauenstimmrecht im Sinne von Canon 766 als Ausnahme gelten lassen. Da steht nämlich: «Zur Predigt in einer Kirche oder einer Kapelle können, nach Massgabe der Vorschriften der Bischofskonferenz und vorbehaltlich von can. 767, § 1, Laien zugelassen werden, wenn das unter bestimmten Umständen notwendig oder in Einzelfällen als nützlich angeraten ist.»
Aufgeschlossene Bischöfe
Und auf genau jenen Canon 767, § 1, werden sich all jene berufen, die keinem Laien und schon gar nicht einer Frau das Predigtwort überlassen wollen, denn: «Unter den Formen der Predigt ragt die Homilie hervor, die Teil der Liturgie selbst ist und dem Priester oder dem Diakon vorbehalten wird;…» Der Bischof unserer Diözese und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Felix Gmür, gehört zu den aufgeschlossenen Kirchenfürsten. Ebenso der Bischof von St. Gallen, Markus Büchel. Beide haben unlängst öffentlich kundgetan, dass in ihren Bistümern die sogenannte Laienpredigt nicht nur toleriert, sondern erwünscht ist. In den Bistümern Basel und St. Gallen, aber auch in vielen Kirchgemeinden anderer Bistümer, legen Frauen seit Jahrzehnten die Bibel aus. Frauen sind nicht nur in dieser Hinsicht aus dem kirchlichen Alltagsleben gar nicht mehr wegzudenken.
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Dennoch müssen sich Frauen, auch 50 Jahre nach Anerkennung ihrer politischen Rechte, noch immer rechtfertigen, wenn Sie das Wort erheben wollen: «Es ist immer noch nicht erlaubt, dass wir Frauen Forderungen stellen», sagt Silvia Huber. «Es ist nach wie vor eine Diskussion wert, ob man überhaupt auf diese Idee von ‹Helvetia predigt!› einsteigen will oder nicht.» Sie selber wurde von einem Pastoralraumleiter angefragt, ob sie die Predigt am 1. August halten würde. Sie hat mit Freude zugesagt. Doch dann habe der leitende Priester jenes Pastoralraums entschieden, er wolle doch lieber gleich selbst predigen, dafür müsse man niemanden von aussen holen. «An solchen Feinheiten merkt man, dass diese Aktion nach wie vor nötig ist.»
Auch französische Schweiz erwacht
Nach dem 1. August werde sich die SKF-Gruppe dann wieder treffen, um auszuwerten, was die Frauen mit «Helvetia predigt!» gesehen, gehört und erlebt haben. «Wir werden uns darüber freuen, was alles gelaufen ist und worüber die Medien berichtet haben», sagt die erfahrene Radiopredigerin und fügt an: «Dann gehen wir als Gruppe in den Winterschlaf und schauen danach wieder, wo’s uns braucht. ‹Helvetia predigt!› ist einfach ein Mosaiksteinchen in der Bewegung ‹gleiche Würde – gleiche Rechte›, nicht mehr.»
Doch dann sprudelt es plötzlich aus der überzeugten Feministin heraus: «Für die französischsprachigen Frauen könnte sich allenfalls etwas verändern. Die welschen Theologinnen und kirchlich engagierten Frauen haben die Aktion ‹Helvetia predigt!› auch aufgenommen. Bei ihnen gibt es einen hohen Nachholbedarf. In einem Artikel durften sie die Aktion ja nicht einmal so nennen. Es hiess dann da ‹Helvetia spricht› oder so, denn predigen darf sie dort offensichtlich noch nicht. (lacht) Eine solche Aktion bringt Schwung. Wir Frauen brauchen gute Erlebnisse und gute Vernetzungen, damit wir dranbleiben. Das hat der Frauenkirchenstreik sehr bewirkt, und ich hoffe, dass auch ‹Helvetia predigt!› etwas in dieser Richtung bewegen wird.»
«Helvetia ist ein Idealbild»
Silvia Huber macht sich nichts vor. Sie weiss, wie schwer es ist, alte Wege zu verlassen: «Als Feministin sage ich: Das patriarchale System ist so alt, das konnte sich so festigen, dass man es nicht einfach durchbrechen kann. Im patriarchalen System profitieren die Männer, nicht als einzelne, sondern eben als System. In der katholischen Kirche wird das noch gefördert durch die spirituelle Überhöhung dieses patriarchalen Systems, wo die Männer als Nachfolger Jesu direkt von Gott eingesetzt sind. Das macht alles noch zäher. Menschen wollen keine Veränderungen, weil es einfacher ist, so weiterzumachen, wie man’s kennt. Bei Systemen ist das noch extremer. Darum dauert es auch extrem lange, bis sich ein System verändert. Wir sind aber an einem Punkt angelangt, wo die katholische Kirche nicht weiterkommt, wenn sie die Frauenfrage nicht endlich anpackt.» An Themen mangelt es Mutter Helvetia jedenfalls nicht, wenn sie am kommenden 1. August ihre Stimme erhebt.