27.06.2024

Aktionstag zur Inklusion im Alltag in der Stiftung Integra in Wohlen
So gelingt Inklusion in der Kirche

Von Eva Meienberg

  • Für eine inklusive Kirche braucht es viele verschiedene Hilfestellungen.
  • Nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für Kirchgemeinden und Pfarreien.
  • Sarah Bütler arbeitet für die reformierte und römisch-katholische Kirche im Aargau mit Menschen mit Behinderung und kennt gelungene Beispiele aus der Praxis.

«Was ist für euch Kirche?», fragt Sarah Bütler am Workshop «Kirche und Inklusion». Dieser findet am Aktionstag zur Inklusion im Alltag in den Räumlichkeiten der Stiftung Integra in Wohlen statt. An einem langen Tisch sitzen rund zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Einige von ihnen haben eine körperliche Behinderung, andere eine kognitive Einschränkung. Auch Angehörige sitzen interessiert am Tisch. Sarah Bütler verteilt Wachsmalstifte, damit sollen alle ihre Antworten auf ein grosses Plakat, das über zwei Tischen liegt, notieren. Wer nicht schreiben kann, bekommt Unterstützung von Sarah Bütler. Sie ist Katechese-Verantwortliche mit seelsorgerlichen Aufgaben für Menschen mit Handicap in der Reformierten Landeskirche Aargau und arbeitet zusammen mit Isabelle Deschler, Fachmitarbeiterin Pastoral bei Menschen mit Behinderung der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau. Denn Seelsorge für Menschen mit Behinderung organisieren die zwei Landeskirchen gemeinsam. Das Plakat wird immer bunter. «Taufe, Kirchenchor, Pfadi, Ministranten, Hauskreis, Seelsorgegespräch» ist zu lesen.

Vision einer inklusiven Kirche

«Unsere Vision einer inklusiven Kirche ist es, dass Menschen mit einer Behinderung mitmachen können», sagt Sarah Bütler. Gemeinsam mit ihrer katholischen Kollegin hat sie verschiedene Formate entwickelt, bei denen alle Menschen teilnehmen können. Etwa beim Mitmach-Gottesdienst oder bei den kantonalen ökumenischen Gottesdiensten an Pfingsten und am Bettag. Ein pensioniertes Ehepaar, das seine Tochter mit Behinderung bei sich zu Hause pflegt, ­meldet sich zu Wort. Für ihre Tochter habe sich die Entwicklung der Pfarreien hin zu Pastoralräumen negativ ausgewirkt. Früher habe ihre Tochter den Pfarrer vor Ort gekannt, zu dem sie dann in die Kirche gegangen sei. Heute sei der Pfarrer nicht mehr verfügbar, weil er für viele Pfarreien zuständig sei. Die Kirche sei für ihre Tochter durch die Errichtung des Pastoralraums unpersönlicher geworden. Diese Beobachtung teilt Sarah Bütler: «Für Menschen mit Behinderung ist die persönliche Beziehung besonders ­wichtig.» Im Unterschied zu Menschen ohne Behinderung hätten sie oft das Bedürfnis, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Denn in den Institutionen seien sie oft eine Person unter vielen anderen. Dazu komme, dass die meisten von ihnen nicht in einer Paarbeziehung lebten und keinen nahen persönlichen Austausch pflegten.

Beispiele gelebter Inklusion

Sarah Bütler und Isabelle Deschler arbeiten im ganzen Kanton Aargau mit zehn Institutionen zusammen. Im Schnitt sind sie einen Tag im Monat vor Ort und haben Zeit für Seelsorgegespräche, organisieren Feiern und Ausflüge und geben Bibelkurse. Ausserdem beraten sie Seelsorgende in den Pfarreien und Kirchgemeinden und stellen Kontakte zu den Institutionen her. Der Workshop neigt sich langsam dem Ende zu. Alle Teilnehmenden dürfen sich mit einem Bilderrahmen den Begriff auf dem Tischtuch suchen, der ihnen am wichtigsten ist, ihn ausschneiden und einrahmen. Die Vorlieben sind unterschiedlich. Jemand rahmt das Wort «Lobpreis» ein. Bei einem anderen Teilnehmer steht «Pfarrer» im Bilderrahmen. Für alle ist etwas anderes wichtig in der Kirche. Das ist auch die Erfahrung von Sarah Bütler: «Es braucht viele verschiedene Hilfestellungen für die Kirchgemeinden, Pfarreien und Menschen mit Behinderung, damit Inklusion gelingen kann.» Sie kenne einige Beispiele gelebter Inklusion, die sie unter den Kirchgemeinden bekannt machen möchte. Etwa eine Frau mit Beeinträchtigung, die zum Lektorenteam gehört. Jemand hilft bei den «Fiire mit de Chliine» und eine andere Person mit Handicap engagiert sich im Service bei einem Seniorenmittagessen. Sarah Bütler kennt jemanden, der gerne beim Kirchenkaffee mitarbeiten, und einen anderen, der am Anfang einer Feier die Ankommenden begrüssen möchte. «Ich erhoffe mir, dass Kirchgemeinden sich inspirieren lassen und die vielen Möglichkeiten, bei denen Menschen mit Behinderung teilnehmen können, wahrnehmen. Dann wären wir auf dem Weg zu einer inklusiven Kirche», sagt Sarah Bütler.

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